Heimkehr-Marathon
Gegen zwei Uhr nachts verließ ich die Polizeidienststelle. Müdigkeit, Heimweh und der
Wunsch das Land nun doch zügig verlassen zu wollen, veranlassten mich, quasi auf meiner Rollersitzbank die nächsten Tage festzuwachsen. Von Kenitra fuhr ich auf der Landstraße 2 bis nach Tanger. Ich wollte
hier keinesfalls verweilen, aber man muss doch schließlich einmal in Tanger gewesen sein, oder? Ich war so erschlagen, dass ich mich nicht einmal mehr aufraffen, einige Fotos zu schießen. Um kurz nach neun Uhr
stehe ich mit Sack und Pack vor dem Grenzgebäude. Ich wartete förmlich darauf, von einem dieser inoffiziellen Grenzhelfer dumm anquatscht zu werden. Und siehe: schon trottet einer jener Gesellen in seiner
Kaiser-Wilhelm-Uniform auf mich zu: "Ich dir helfen! Du keine Probleme mit mir!" Letzteres sah ich genauso und ihn mit Schimpf und Schande zum Teufel, holte mir auf „ganz normalem“ Weg die nötigen
Ausreisepapiere vom entsprechenden Schalter, füllte alles zur Zufriedenheit der Beamten aus und verließ so das Land. Wenn ich da an meine Einreise denke...
Um elf Uhr saß ich auf der Fähre von Ceuta nach Algeciras. Von diesem Zeitpunkt an gibt es nicht mehr viel zu berichten. Ich fuhr und fuhr und fuhr... Gegen 24 Uhr erreichte ich Alicante. Zweiundvierzig
Stunden war ich bis hierhin auf den Beinen. Entsprechend fühlte ich mich. Ich konnte nicht mehr weiter. Bevor ich einen Zeltplatz aufsuchte, telefonierte ich kurz noch einmal mit meinen Eltern, die natürlich
heilfroh waren, dass ich noch unter den Lebenden weilte. Hinweise auf meine Marathonetappen unterließ ich tunlichst. Trotz der Erschöpfung erwachte ich am nächsten Morgen schon um neun Uhr. Ein Packriemen
fehlte. Viel schlimmer traf mich aber, dass die Banken geschlossen waren und ich nur noch über einige wenige Peseten verfügte. Durch mein ewiges Tag- und Nachtfahren war mir völlig entgangen, dass man auf dem
Kalender "Domingo" lesen konnte. Mit der Beschaffung von gültigem Geld sollte ich dann noch etliche Schwierigkeiten haben, die vor allem durch heftige Beinarbeit gelöst werden sollten. Also, immer genug
Geld in der passenden Währung mitführen! An verschiedenen Stellen tauschte ich deutsches und französisches Geld in spanische Peseten, freilich zu einem unverschämten Kurs. Schließlich wird die Notlage eines
Reisenden nicht nur in Marokko erbarmungslos ausgenutzt. Doch schließlich hatte ich keine Wahl. Die Landstraße N340 führte mich ein letztes Mal durch die Städte Malaga, Almeria, Murcia, Alicante, Benidorm,
Valencia usw., usw. Gegen 23 Uhr erreichte ich erneut das Haus meines Onkels kurz vor Rosas. Sieht man einmal von meiner Neunstundenpause in Alicante ab, so war ich bisher 56 Stunden ununterbrochen unterwegs.
Einige Monate nach meiner Reise erschien in einer bekannten Motorradzeitung ein Artikel über einen Vespamarathon auf einer abgesperrten Rennstrecke. Vierundzwanzig Stunden sollten es zwei Piloten schaffen, Non-Stop
zu fahren. Krankenwagen und weiteres Brimborium standen den Fahrern zur Verfügung. Ich konnte darüber nicht einmal mehr schmunzeln. Drei Tage verweilte ich noch in Spanien, schlief mich richtig aus.
Schließlich fuhr zurück nach Deutschland – natürlich ohne größere Pausen... Mein Urlaub war zu Ende: zwei Monate waren vergangen, über 10000 Kilometer hatte mich mein Roller getragen und selten war
ich so froh, wieder unversehrt zu Hause zu sein.
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